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Informationen zur Türkei

zusammengestellt von Ferdinand Bratfisch

Viele von Ihnen waren bereits im Urlaub in der Türkei und fragen sich, warum Menschen aus der Türkei in Deutschland um Asyl nachsuchen. Um dies zu verstehen, sollte man folgende Fakten überdenken:
Die Türkei ist eine demokratische Republik in Vorderasien und Südosteuropa. Es gibt dort etwa zwanzig Sprachen aus insgesamt fünf verschiedenen Sprachfamilien. In diesem Sinne ist die Türkei ein multiethnischer Staat, wobei die Zahlen bei vielen Minderheiten aufgrund der türkischen Assimilationspolitik (Einander-Angleichen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen) stark rückläufig sind. Demnach leben in der Türkei folgende Ethnien: bis 77% Türken, 14 bis 18% Kurden, 4% Zaza, 2% Tscherkessen, 2% Bosniaken, 1,5% Araber, 1% Albaner, 0,5% Lasen, 0,1% Georgier sowie diverse andere ethnische Gruppen und Nationalitäten wie Armenier/Hemsinli, Bulgaren/Pomaken, Aramäer, Tschetschenen, Griechen/Pontier, Juden und Roma.

Bild entnommen aus www.wikipedia.de
Aufteilung der 81 Provinzen

Im Südwesten werden für das Jahr 2015 über 33.000 Asylbewerber erwartet, bereits im ersten Quartal waren es rund 10.400 Menschen – und das Land ist jetzt schon mit ihrer Unterbringung und Versorgung stark gefordert. In der öffentlichen Meinung gibt es die Einschätzung, wir stünden vor den gleichen Problemen wie die Türkei, doch dort sprechen wir von ganz anderen Dimensionen. In Gaziantep in Südostanatolien leben 24.000 Menschen in einem einzigen Flüchtlingslager. Die Türkei hat das Problem lange Zeit unterschätzt und wollte auf internationale Hilfe verzichten. Inzwischen sieht man jedoch ein, dass die Notlage der Flüchtlinge keine temporäre Angelegenheit ist.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lehnt eine Bewaffnung der kurdischen Kämpfer in Syrien weiterhin ab. Die syrische Kurdenpartei PYD sei ebenso eine „Terrorgruppe“ wie die in der Türkei verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sagte Erdogan auf dem Rückflug aus Afghanistan. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), der bewaffnete Arm der PYD, wehrten sich seit Wochen verzweifelt gegen eine Übernahme der nahe der türkischen Grenze gelegenen Stadt Kobane durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS).

„Es wäre falsch zu erwarten, dass wir unserem Nato-Verbündeten USA offen Ja zu einer derartigen Unterstützung sagen,“ erklärte Erdogan laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu weiter. Frankreichs Präsident François Hollande hatte am Dienstag die Öffnung der türkischen Grenze gefordert, um die kurdischen Kämpfer bei der Verteidigung Kobanes zu unterstützen. US-Vertreter hatten nach Angaben des US-Außenministeriums vor einer Woche erstmals direkte Gespräche mit der PYD geführt.
Die Anzahl der in Deutschland lebenden Kurden wird auf 500.000 bis 800.000 geschätzt. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) erklärte auf einer Pressekonferenz, die Türkei sei für die EU nicht beitrittsfähig, da es bei der eklatant schlechten Menschenrechtslage keine wesentlichen Fortschritte gäbe. IGFM-Vorstandssprecher Martin Lessenthin betonte: „In der Türkei werden durch Gesetze und Behörden täglich die Menschenrechte verletzt, ohne dass dies Aus den Arbeitskreisen Juni 2015 in Europa angemessen zur Kenntnis genommen wird.“ Darunter litten besonders die ethnischen und religiösen Minderheiten wie Kurden, Aleviten, Armenier, Assyrer/Aramäer und Yeziden. Drastische Einschränkungen der Pressefreiheit behinderten eine öffentliche Debatte in der Türkei. Tausende Kurden seien in den vergangenen Jahren verhaftet worden, weil sie Kurdisch gesprochen oder gegen das türkische „Buchstabengesetz“ verstoßen hatten. Die IGFM wies darauf hin, dass die Türkei mit über 2.700 Verurteilungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der mit Abstand am häufigsten verurteilte Staat ist. Nach Einschätzung der IGFM seien viele der angekündigten Veränderungen entweder nicht umgesetzt oder kosmetischer Natur. Grundlegende Probleme seien ungelöst. Darunter politisch motivierte Verhaftungen, Folter und Erniedrigung von Gefangenen, drastische Einschränkungen der Pressefreiheit und vor allem die systematische Diskriminierung von Minderheiten im Vielvölkerstaat Türkei.

In der Kurdenregion führen die türkischen Sicherheitskräfte seit Jahrzehnten gegen PKK-Guerillaeinheiten Krieg, mit dem Ziel, dem „Terrorismus“ möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Die Bevölkerung in den Dörfern, die in Verdacht steht, „Terroristen“ logistische Unterstützung zu geben, wird aus ihren Dörfern vertrieben. Die verlassenen Dörfer werden zerstört. Auch einzelne Kurden, die politisch engagiert sind und in Verdacht stehen, „Terroristen“ politisch zu unterstützen, werden verfolgt oder ermordet. In diesem mit aller Brutalität andauernden Krieg sind bis heute 35.000 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, getötet und mehr als Zehntausend verletzt worden. Mehr als 3200 kurdische Dörfer wurden zerstört. Drei bis vier Millionen Kurden sind aus ihrer Heimat geflüchtet.
Nach 40-jähriger Bemühung erreichte die Türkei am 3. Oktober 2005 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Neben wirtschaftlichen Kriterien und politischen Verpflichtungen stehen dabei auch Forderungen der EU zur Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten, dem Schutz von Minderheiten in der Türkei sowie der Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarstaaten im Mittelpunkt. In einem Referendum im September 2010 sprach sich die türkische Bevölkerung für umfassende Verfassungsänderungen aus. Eine Reihe der neuen Regelungen soll die türkische Verfassung an Rechtsnormen der Europäischen Union anpassen. Die Westbindung der Türkei soll gerade auch im Interesse Europas dazu beitragen, dass die guten Kontakte der Türkei zu den Nachbarn konstruktiv fruchtbar gemacht werden. Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis der Türkei zum Westen. Der Wunsch, Mitglied der EU zu werden, verlangt schon eine klare Westbindung. Auch der NATO-Vertrag besteht nicht nur aus Artikel 5, der Beistandspflicht, sondern er besteht auch aus dem Bekenntnis zu westlichen Werten. Die EU erklärte jedoch, dass es unter der islamisch-konservativen AKP-Regierung Erdogans keine Fortschritte im Hinblick auf die Grundrechte gab, sondern stattdessen die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und die Gerichte nicht unparteiisch urteilen.
Rund einen Monat vor der türkischen Parlamentswahl droht der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP einer Umfrage zufolge der Verlust der absoluten Mehrheit. Nicht einmal mehr 40 Prozent würden demnach die AKP wählen wollen. Sollte dieses Ergebnis bei der Wahl am 7. Juni eintreffen, könnte die seit 2002 alleine regierende AKP mit Präsident Erdogan ihre absolute Mehrheit im Parlament verlieren.